Discussion:
Frage zur Psychologie der Tänzer/Tänzerinnen
(zu alt für eine Antwort)
Gerd Ahlmann
2003-12-22 23:49:42 UTC
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Ich habe relativ frisch mit Tanzen angefangen und mir fällt etwas auf, von
dem mich mal interessieren würde ob dies zufällig ist oder ob andere
ähnliche Erfahrungen machen.

Und zwar kann ich ganz klar feststellen, dass ich von der Art des Tanzes den
eine Frau bevorzugt, häufig auf deren Charakter zurückschliessen kann. Ganz
besonders fällt mir ein grosser Unterschied zwischen Salsa und Rock 'n'
Roll-Tänzerinnen auf. Ich möchte dieses mal wie folgt charakterisieren:

Salsa:

- Anspruchsvoll und zwar nicht nur im tänzerischen Bereich, ohne häufig
selbst diesen Kriterien zu entsprechen (häufig rausgeputzte Mauerblümchen)
- ständig auf der Suche nach etwas "Besserem"
- Tendenz zur Oberflächlichkeit
- Tendenz andere bewerten zu müssen
- unlocker, was im grassen Widerspruch zu der angeblichen Lebensfreude des
preferierten Tanzes steht
- unnahbar, teilweise fast schon arrogant
- kompliziert und häufig beziehungsgeschädigt
- auf Äusserlichkeiten bedacht
- Perfektionismus
- wenig kooperativ
- kalt
- negatives Denken


Rock 'n' Roll / Boogie:

- bodenständig
- natürlich
- warmherzig und nahbar
- positives Denken
- kooperativ
- Humor
- Lebensfreude
- unkompliziert
- lockerer Umgang miteinander und den Fehlern des anderen
- Freude am Improvisieren

Mir ist klar, dass ich jetzt stark überzeichnet habe. Mich würde aber mal
interessieren ob andere ähnliche Beobachtungen gemacht haben. Die typischen
"fanatischen" Salsa-Tänzerinnen meide ich inzwischen und zwar nicht nur beim
Tanzen. Ist das ein Vorurteil oder welche Erfahrungen habt ihr gemacht ?

Gerd
Mario Herger
2003-12-23 02:41:21 UTC
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Hehe, ich sitze schon mit Popcorn da und warte gespannt auf die anderen
Kommentare :-)

Du sprichst ein interessantes und zu jeder Menge Vorurteilen verfuehrendes
Thema an. Ich wuerde das aber nicht nur auf Frauen, sondern auf das ganze
Publikum bei Tänzen anwenden wollen, auch wenn es meiner Meinung nicht so
simpel ist, wie Du es beschreibst.

Zuerst mal: jeder Tanz und jede Tanzart hat in der Gesellschaft ein gewisses
Image (ich schliesse professionellen Tanz wie Ballett etc. mal aus).
Abhängig je nachdem, in welchem Land oder Region der Tanz gepflegt wird (ich
spreche aus meiner Erfahrung von Österreich (Wien), Deutschland (Heidelberg)
und USA (San Francisco).

Während in diesen Ländern an der unteren Stelle der Skala der (heimische
bzw. aus dem Kolonialland stammende) Volkstanz steht und man bei Erwähnung
desselben eher belächelt wird, steigt das Ansehen mit dem gesellschaftlich
als Norm betrachteten Ballroom Dancing (das kann man ja immer brauchen) bis
zum meines Erachtens mit dem meisten Prestige verbundenen Tango Argentino.
Verbunden mit dem Prestige ändert sich auch der Grund solche Tänze zu
erlernen oder zu solchen Veranstaltungen zu gehen.
Zum Volkstanz kommt man meist durch Eltern, örtliche Traditionen, Partner
oder eher nur durch Zufall (wie z.B. Schulen, die manchmal sowas machen).
Gesellschaftstanz (Ballroom) ist meist die erste Erfahrung mit dem Tanz,
auch um mit Personen des anderen Geschlechtes in näheren Kontakt zu kommen
und um auf den diversen Maturabällen, Abschlussfeiern, Hochzeiten etc. nicht
ganz abseits zu stehen. Zu Tänzen wie Salsa, Flamenco oder Tango Argentino
kommt man zumeist durch das transportierte Image aus z.B. Filmen. Dort
knistert die Erotik, labbert man unreflektiert von "vertikalem Ausdruck
horizontalem Begehrens" und kann sich der Bewunderung des Frendeskreises
sicher sein, wenn man das mal so nebenbei fallen lässt.
Rock'n Roll wird ja dann eher als "Sportgymnastik mit Musik" angesehen, mit
dem Flair der verrückten Elterngeneration.

Dieses daraus auf einen selbst abstrahlende Prestige und der Wunsch danach
kann dann schon die entsprechenden "Motten" wie das Licht anziehen. Niemand
geht zum Volkstanz um Prestige zu gewinnen, dort will man seinen Spass haben
und in einem gewissen sozialen Umfeld sein.
Kaum jemand kommt zum Gesellschaftstanzen, um von vorneherein Turniertänzer
zu werden, sondern um bei gewissen Gelegenheiten dabei sein zu koennen und
sich nicht als unkultiverter Dodel vom Dienst zu zeigen.
Zu TA oder Salsa geht man aber schon etwas mehr mit der Vorstellung, einen
Tanz zu tanzen mit einem ganz bestimmten Image und Prestige: Latino, Erotik,
Leidenschaft und auch eine Form der Selbstdarstellung. Diese
Erwartungshaltung kann dann genau diesen Effekt hervorrufen, den Du bei den
Tänzerinnen bemerkt hast, wobei ich, wie bereits erwähnt, das auch bei
machen männlichen Tänzern gesehen habe.
Das artet bei diesen prestigeträchtigen Tänzen dann in Unnahbarkeit,
Arroganz, Egoismus und Selbstdarstellung aus, die dazu führt, dass man
Neulinge oder schlechtere Tänzer nicht integrieren will. Die
vierteljährliche Zeitschrift "TangoDanza" hatte dazu in der Vergangenheit
mehrere Artikel, warum in einigen deutschen Städten die Milongas so
merkwürdig sind und man kaum Kontakt schliessen oder zum Tanz auffordern
kann oder aufgefordert wird. Es erscheint als geschlossene Gesellschaft, in
die sich niemand reindrängen soll.

Meine Erfahrung zum TA (Mambo, Paso Doble, Salsa,...) ging dahin, dass
gerade die nach aussen still aussehenden Frauen (zu Männern kann ich kein
Urteil abgeben) für positive Überraschungen gut sind, während die sich so
brillierend darstellenden als meisten recht schwierig (ich haette fast
"zickenhaft" gesagt) und in gewisser Form so, wie Du beschreibst erweisen.
Wichtig ist da fuer mich bei einer neuen Tanzpartnerin der erste Blick ins
Gesicht: wird da eine Fassade zur Schau gestellt, oder blinkt echte Freude
auf ?
Der bei manchen krampfhafte Versuch beim TA so verrucht wie möglich
auszusehen und den Bewegungen entsprechendes Flair zu verleihen, machen das
Ganze zu einem schwierigen Unterfangen. Nach dem Motto: "Achtung, ich tanze
jetzt Tango und deshalb muss ich einen Schalter umlegen und schauspiele".
Kann oder will der Partner dieses Image nicht aufrechterhalten, dann kommt's
zu einem Konflikt.
Was den TA betrifft habe ich meine Erfahrungen in DE und USA gemacht, wobei
in den USA der Hang zur Dramatik und zum Schauspiel noch krasser ist. Da
wird schon von der ersten Stunde von den Schülern an alles auf Tango-Image
angelegt, mit dem Effekt, dass die Grunddinge wie das richtige Gehen nur
krampfhaft wirken, weil man eben "umgeschalten" hat.

Ich denke, dass das Mäntelchen mit dem man sich bei solchen Tanzformen
umgibt oft nur die eigene Unsicherheit oder vielleicht auch Misserfolge
(z.B. beim anderen Geschlecht oder in Beziehungen) in anderen
Lebensbereichen kaschieren helfen sollen. Weiters meine ich, dass bei allen
Tanzformen Vertreter wie von Gerd beschrieben vorkommen, bei manchen ist die
Häufung ebensolcher aber signifikant höher.

Ich selbst mag TA und seine Verwandten von den Tänzen die ich lernen durfte
am liebsten, weil ich ihn als einen der anspruchsvollsten und reichsten
schätzen gelernt habe. Tja, und das Image: bin ich nicht gut weil ich eben
Tango tanze ? -> was lässt das bloss auf meinen Charakter schliessen ? :-)

Mario

http://www.volkstanz.at/
http://www.dancilla.com/
Gerd Ahlmann
2003-12-23 08:45:41 UTC
Permalink
Da hast Du aber jetzt ausführlich geantwortet.

Ich habe ja auch geschrieben, dass ich bewusst überzeichne. Natürlich trifft
das nicht immer und auch nicht immer in dieser grassen Form zu. Ich habe nur
so eine gewisse Tendenz beobachtet. Und natürlich trifft dies alles wohl
auch auf die Männer zu. Nur habe ich da eben naturgemäss nicht so viele
Erfahrungen. Ich habe allerdings mitbekommen, wie die Tänzerinnen immer
wieder eine arrogante Abfuhr erhalten, sich darüber beklagen (ja teilweise
geradezu leiden) aber dennoch immer weiter an der Szene festhalten. Und
Spass am Tanzen haben meiner Meinung nach viele auch nicht. Denen geht es
eher um andere Dinge. Sonst wären die fröhlich, locker und tolerant.
"zickig" beschreibt das Verhalten ganz gut. Nur leiden die teilweise selbst
am meisten darunter.

Gerd
Peter Turowski
2003-12-28 16:45:13 UTC
Permalink
Gerd Ahlmann schrieb in Nachricht ...
Und Spass am Tanzen haben meiner Meinung nach viele auch nicht.
Denen geht es eher um andere Dinge.
Sonst wären die fröhlich, locker und tolerant.
Hallo zusammen!

Unter http://www.tangotimes.de/ findet sich zum Thema
-Psychologie des Tango Argentino- ein Buchauszug von
Raimund Allebrand unter der Überschrift:
Von Erotik zu Aerobic. Insbesondere der Abschnitt
Tango-Typen und Motive
dürfte nicht nur für Tangueros interessant sein ...

Gruss
Peter
Gerd Ahlmann
2003-12-28 18:05:34 UTC
Permalink
Post by Peter Turowski
Unter http://www.tangotimes.de/ findet sich zum Thema
-Psychologie des Tango Argentino- ein Buchauszug von
Von Erotik zu Aerobic. Insbesondere der Abschnitt
Tango-Typen und Motive
dürfte nicht nur für Tangueros interessant sein ...
Die Analyse ist genial ! Mit der Tango-Szene habe ich zwar keinerlei
Erfahrung (und werde sie sicherlich auch nie haben) aber das lässt sich
meiner Beobachtung nahezu 1:1 auf die Salsa-Szene übertragen. Somit ist auch
erklärt, warum sich hier eine dartige Ansammlung von sozial gestörten grauen
Mäusen findet.

Gerd
Thomas Engelmeier
2003-12-30 00:15:19 UTC
Permalink
[...] aber das lässt sich
meiner Beobachtung nahezu 1:1 auf die Salsa-Szene übertragen. Somit ist auch
erklärt, warum sich hier eine dartige Ansammlung von sozial gestörten grauen
Mäusen findet.
Weitere sozial gestoerte treiben sich im Internet rum, Chatten, leben
das Leben ihrer Romanhelden und verlassen die Wohnung nicht *sfg*

Ciao,
Tom_E
--
This address is valid in its unmodified form but expires soon.
Richard Stoll
2003-12-30 09:15:52 UTC
Permalink
Post by Thomas Engelmeier
[...] aber das l?sst sich
meiner Beobachtung nahezu 1:1 auf die Salsa-Szene ?bertragen. Somit ist auch
erkl?rt, warum sich hier eine dartige Ansammlung von sozial gest?rten grauen
M?usen findet.
Weitere sozial gestoerte treiben sich im Internet rum, Chatten, leben
das Leben ihrer Romanhelden und verlassen die Wohnung nicht *sfg*
Sind wir nicht alle ein bischen Bluna ?? :-))
Was den Tango angeht hab ich die Erfahrung gemacht, dass in den Gruppen
zwar auch ne Menge Gruppendynamik abgeht, die meisten Leute aber eher
normal, freundlich und hilfsbereit sind. Auch hier gibt es halt eine
Ansammlung von Menschen jeden Schlages und da sind halt auch mal "extreme
Persoenlichkeiten" dabei. Die Salsa Szene kenne ich halt nicht, da kann
ich nichts zu sagen.

Gruss,


-Ricardo (aus Oberhessen) :-)


--

Mario Herger
2003-12-28 19:25:46 UTC
Permalink
Post by Peter Turowski
Unter http://www.tangotimes.de/ findet sich zum Thema
-Psychologie des Tango Argentino- ein Buchauszug von
Von Erotik zu Aerobic. Insbesondere der Abschnitt
Tango-Typen und Motive
dürfte nicht nur für Tangueros interessant sein ...
Der Artikel erschien uebrigens in TangoDanza 4/2003 auf Seite 76-80. Wusste
doch, warum der mir so bekannt vorkam.

Mir ist auch gerade durch die Zeitschrift aufgefallen, dass sich einige
Dinge auch auf den Volkstanz umlegen lassen. Benennt man den Tango bzw. die
Milonga mal salopp als den eigentlichen argentinischen Volkstanz, Salsa als
kubanischen (?) oder Samba als brasilianischen(auch wenn man das so nicht
sagen kann, da manche Tänze erst relativ spaet entstanden sind), und
vergleicht das mit deutschem Volkstanz, dann wird in Ländern, wo der Tanz
nicht heimisch ist, immer ein gewisses Image mittransportiert. Gerade wenn
man den oben genannten Artikel gelesen und die Erfahrung gegenueberstellt,
wie z.B. deutsche/österreichische Tänze (Schuhplattler, Maibaumtanz und so
weiter) in z.B. USA (wo ich das miterlebe) oder Brasilien gesehen werden,
dann kommt man zu einem sehr aehnlichen Bild. Laut Artikel wird der TA in
Argentinien vor allem nur mehr von ueber 60-jaehrigen und neuerdings unter
30-jaehrigen getanzt; Volkstanz wird in DE ebenfalls vor allem von ueber
60-jaehrigen ausgeuebt (pauschalierend gesagt). Nur im Ausland, wo der Tanz
"importiert" wurde, wird er von der jeweils im Herkunftsland "fehlenden
Altersschicht" getanzt.

Mario

http://www.volkstanz.at/
http://www.dancilla.com/
Thomas Engelmeier
2003-12-30 00:12:51 UTC
Permalink
Post by Mario Herger
Laut Artikel wird der TA in
Argentinien vor allem nur mehr von ueber 60-jaehrigen und neuerdings unter
30-jaehrigen getanzt; Volkstanz wird in DE ebenfalls vor allem von ueber
60-jaehrigen ausgeuebt (pauschalierend gesagt). Nur im Ausland, wo der Tanz
"importiert" wurde, wird er von der jeweils im Herkunftsland "fehlenden
Altersschicht" getanzt.
Es gibt Limits und Foerderfaktoren..
Findest Du es verwunderlich, daß Salsa in Kuba in allen Altersgruppen
getanzt wird, wenn Salsa-Bewegungen dort als Schulsport verwendet werden
und die Musik fast ueberall present ist?
Und bei Capoeira sehe ich auch keine Imagebedingte andere Altersschicht
OK, Kinder und Jugendliche spielen / tanzen hier nicht auf der Strasse
Capoeira wie in Brasilien, aber genausowenig sehe ich an den
Strassenecken Breakdancer oder Schuhplattler etc..

Ciao,
Tom_E
--
This address is valid in its unmodified form but expires soon.
Eva Kornmann
2003-12-28 09:42:40 UTC
Permalink
Post by Mario Herger
Zu TA oder Salsa geht man aber schon etwas mehr mit der Vorstellung, einen
Tanz zu tanzen mit einem ganz bestimmten Image und Prestige: Latino, Erotik,
Leidenschaft und auch eine Form der Selbstdarstellung. Diese
Erwartungshaltung kann dann genau diesen Effekt hervorrufen, den Du bei den
Tänzerinnen bemerkt hast, wobei ich, wie bereits erwähnt, das auch bei
machen männlichen Tänzern gesehen habe.
Das artet bei diesen prestigeträchtigen Tänzen dann in Unnahbarkeit,
Arroganz, Egoismus und Selbstdarstellung aus, die dazu führt, dass man
Neulinge oder schlechtere Tänzer nicht integrieren will. Die
vierteljährliche Zeitschrift "TangoDanza" hatte dazu in der Vergangenheit
mehrere Artikel, warum in einigen deutschen Städten die Milongas so
merkwürdig sind und man kaum Kontakt schliessen oder zum Tanz auffordern
kann oder aufgefordert wird. Es erscheint als geschlossene Gesellschaft, in
die sich niemand reindrängen soll.
Uff. Und ich dachte schon, dass das nur mir so geht. Ich fühle mich
bei der Milonga oft, als ob ich uneingeladen in einem fremden
Wohnzimmer herumsitze.
Vielleicht liegt es aber auch an den wahnsinnigen Qualitätsansprüchen.
Auch in Fachzeitschriften und Mailinglisten wird ständig über "gute
Tänzer" geschrieben. In einer Von der TangoDanza veranstalteten
Umfrage "Was macht für dich eine gute Milonga aus?" vermisste ich
Fragen, die sich an Neulinge richten. Da konnte man sich zwar gute
Tänzer wünschen, aber nicht das Gefühl, sich nicht fehl am Platze zu
fühlen.

Ich mag den Tango, weil ich die Musik mag, weil mir die Art der
Bewegung gefällt, weil ich Tangotanzen viel mehr als Kommunikation
empfinde als andere Tänze. Und ich finde, dass Tango schön aussieht.
Ich mag auch das Ambiente, das, was du schauspielern nennst. Natürlich
fühle ich mich ganz anders, wenn ich hochhackige rote Schuhe trage.
Natürlich *bin* ich dann auch anders. Ein bißchen.

Das hochgestochene Tangogerede geht mir allerdings auch auf den
Senkel. Tango ist ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann. Jaja,
schon gut, wir haben es gehört. Dass deutsche Tangolehrer plötzlich
anfangen, spanisch zu reden - alberne Sache. Dass es unter
irgendwelchen Pfälzern und Schwaben von Diegos und Ricardos wimmelt,
von mir aus.



Grüße
Eva
--
http://www.e-kornmann.de
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